HILDE DOMIN - GEDICHTE




Osterwind


Wir haben es den Blumen und Bäumen voraus:
Unsere Jahreszeiten
sind schneller.

Der Tod
steigt im Stengel unseres Traums,
alle Blüten werden dunkel
und fallen.
Kaum ein Herbst. Der Winter kommt
in einer Stunde.

Doch da ist keine Wartezeit,
sicheres Warten
für kahle Zweige.

So wie der Vogel
innehält und sich wendet im Flug,
so jäh, so ohne Grund
dreht sich das Klima unseres Herzens.
Weiße Flügelsignale im Blau,
Auferstehung
all unserer toten

Blumen
im Osterwind
eines Lächelns.





Treulose Kahnfahrt


Aber der Traum ist ein Kahn
zu dem falschen Ufer.
Du steigst ein
an dem schimmernden Holzsteg des Gestern.
Du bist eingeladen
zu einer Fahrt über rosa Wolken
unter rosa Wolken,
wolkengleich.

Ein Hauch der Luft
Du bist so leicht,
der Kahn so steuerlos,
das Wasser so spiegelglatt.
So sanft verlierst Du die Richtung:
du bist noch unterwegs nach der Wiese im Licht,
wenn der Sand schon unter dem Kiel knirscht
im Schatten der Weiden.





Haus ohne Fenster


Der Schmerz sargt uns ein
in einem Haus ohne Fenster.
Die Sonne, die die Blumen öffnet,
zeigt seine Kanten
nur deutlicher.
Es ist ein Würfel aus Schweigen
in der Nacht.

Der Trost
der keine Fenster findet und keine Türen
und hinein will,
trägt erbittert das Reisig zusammen.
Er will ein Wunder erzwingen
und zündet es an,
das Haus aus Schmerz.






Unaufhaltsam


Das eigene Wort,
wer holt es zurück,
das lebendige
eben noch unausgesprochene
Wort?

Wo das Wort vorbeifliegt
verdorren die Gräser,
werden die Blätter gelb,
fällt Schnee.
Ein Vogel käme dir wieder.
Nicht dein Wort,
das eben noch ungesagte,
in deinem Mund.
Du schickst andere Worte
hinterdrein,
Worte mit bunten, weichen Federn.
Das Wort ist schneller,
das schwarze Wort.
Es kommt immer an,
es hört nicht auf an-
zukommen.

Besser ein Messer als ein Wort.
Ein Messer kann stumpf sein.
Ein Messer trifft oft
am Herzen vorbei.
Nicht das Wort.

Am Ende ist das Wort,
immer
am Ende
das Wort.





Flucht


Es flieht das Herz
mit dem Mond,
die Wolken stehn,
der Mond hat Eile.

Es flieht der Mond,
das herz hat Eile,
es reist den Träumen nach,
die Wolken stehn.

Die Träume häuten sich.
Es flieht das Herz

vor dem Gesicht
seines Traums.






Der Stierkampf


Das ungleiche Spiel ist zu Ende.

Es wird durch genauste Regeln
unter dem Beifall der Kenner
öffentlich
und doch staunend
und allein mit dem Tod
gestorben.

Goldener Sand wird sofort
über Blut und Leiden gedeckt.
Die Musik spielt einen Marsch
und das dunkle Gespann
mit wehenden Fähnchen
öffnet endlich,
zu spät,
einen Weg aus dem quälenden
Rund der Arena.

Mauerringe von Mädchen
in weißen Kleidern
sehen dem Tod lüstern mit zu
und träumen sich,
Sonnenblumenkerne im Mund,
in die Arme des Töters.